Dieter Lenzen
Zwangssterilisationen und Euthanasieverbrechen im Kreis Monschau
Die regionale Darstellung zu Zwangssterilisationen und Euthanasieverbrechen während der NS-Zeit weist noch zahlreiche weiße Flecken auf, während die Literatur zu dem Thema auf Reichsebene seit den 1980er Jahren unübersehbar ist. Die Gesamtzahl der Zwangssterilisierten in Deutschland ist nicht genau bekannt, allerdings gehen Schätzungen mehrheitlich von etwa 350.000 bis 400.000 aus und von mehr als 200.000 Betroffenen, die den Euthanasieverbrechen zum Opfer fielen. Dies stellt den Rahmen dar, in den sich die regionale Geschichte einordnet. Die nationalsozialistische Rassenpolitik forderte auch im Kreis Monschau ihre Opfer und es zeigt sich, dass eine Bevölkerung, die in einer katholischen Tradition verwurzelt war und über Jahrzehnte als Hochburg der Zentrumspartei galt, kein Bollwerk gegen die NS-Verbrechen bildete. Das Monschauer Land war keine isolierte Insel im nationalsozialistischen Deutschland.
Die Propaganda nutzte auch örtlich alle Möglichkeiten, um ihre Vorstellungen in den Köpfen zu verankern. Das reichte von der „Heranführung der Jugend an die Ideen der Bewegung“, über gesellschaftliche Veranstaltungen, Dienstverpflichtungen für die Volksgemeinschaft bis zur unterschwelligen Beeinflussung im täglichen Leben. Da man eine langfristige „Volkserziehung“ plante, nahm man vor allem die Jugend in den Blick. Begriffe wie Erbkrankheit, Rassenhygiene oder die „volkswirtschaftliche Belastung“ durch die Versorgung Behinderter wurden zu Allgemeinplätzen. Ebenso drangen die Bezeichnungen „erbkrankverdächtig“ oder „fortpflanzungsgefährlich“ in die Sprache der Gesundheitsbehörden und Erbgesundheitsgerichte (EGG) ein. Dabei ist festzuhalten, dass die „Eugenik“ keine Erfindung der Nationalsozialisten war. Ihre sozialdarwinistischen Wurzeln reichen zurück ins 19. Jahrhundert. In Deutschland gab es bereits in der Weimarer Republik Bestrebungen zur Sterilisation „Minderwertiger“. Vor allem Ärzte, Wissenschaftler und Politiker sahen den rassischen Niedergang des deutschen Volkes voraus und forderten ein entschiedenes politisches Eingreifen. So existierte in Preußen schon vor 1933 ein Gesetzentwurf zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Ralf Forsbach weist allerdings darauf hin, dass „die Gegenströmungen in der Weimarer Republik stark genug [waren], um die Vorstellungen der Sterilisations- und ‘Euthanasie‘-Befürworter nicht Gesetzeskraft erlangen zu lassen“. Nach der „Machtergreifung“ setzten die Nazis die vorher nicht mehrheitsfähigen Ansichten zielstrebig um. Die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema Rassenhygiene war groß und trieb aus heutiger Sicht teilweise bizarre Blüten. So lobte der Industrielle Friedrich Krupp bereits im Jahr 1900 ein Preisausschreiben zum Thema aus. Der NS-Rassismus spitzte nach 1933 die eugenischen Überzeugungen zu und trieb deren Umsetzung bis zur Vernichtung der Betroffenen. Dazu bediente er sich des in allen Schichten – auch im katholischen Milieu – vorhandenen Nationalismus und wurde deshalb auch primär nicht als faschistisch begriffen, denn eine vergleichbare Entwicklung fehlt beispielsweise im faschistischen Italien. Die vorliegende Arbeit bemüht sich, die Geschichte der Opfer darzustellen, deren Identität, Leidensgeschichte und Zahl nur bruchstückhaft überliefert sind und diejenigen Entwicklungen aufzuzeigen, die die Verbrechen regional möglich machten.
Mit Blick auf die Betroffenen bzw. ihre Angehörigen sind die persönlichen Daten unkenntlich gemacht, denn noch immer sind die Verbrechen in den Köpfen lebendig. Die Verletzungen durch die Ausgrenzung, die in dem Vorwurf des „Minderwertig und nicht-richtig-Seins“ gipfelte, sind nicht vernarbt. Wenngleich sich mehr und mehr die Haltung durchsetzt, die Opfer beim Namen zu nennen und ihnen damit eine sichtbare Identität zu geben, so wird im Rahmen dieser Arbeit ein anderer Weg gewählt. In einem örtlich begrenzten Raum und in einem ländlich strukturierten Umfeld, in dem die Beziehungen der Menschen von starken familiären Bezügen geprägt sind, die an den Ortsgrenzen nicht Halt machen, stellt eine Namensnennung eine Entblößung dar. Noch heute leiden die Angehörigen der Opfer unter den Verfolgungen, die auf die ganze „Sippe“ zielten. Die Identifikation mit den damaligen Verfolgungen ging teilweise so weit, dass sich Angehörige nach 1945 fragten, ob sie als „Versippte“ nicht besser auf eine Familiengründung verzichten sollten. Das 1934 in Kraft getretene Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (GzVeN) schuf mit der Einführung von Erbgesundheitsgerichten darüber hinaus einen Rahmen, der die Legalität der Zwangssterilisationen im NS-Staat festschrieb. Dies machte es den Betroffenen nach 1945 zunächst unmöglich, eine Wiedergutmachung durchzusetzen, weil die Sterilisation „rechtmäßig“ von einem Gericht angeordnet worden war. Bevor man diese Auffassung revidierte, dass nach dem Krieg nicht Unrecht sein konnte, was vorher Recht war, vergingen Jahrzehnte. So sehr sich also die Fokussierung auf die Opfer anbietet, so sehr verstellt diese Sicht den Blick auf die Täter, die uns in ihrer Sozialisation und in ihrem Lebensumfeld oft näherstehen. Die Hinwendung zu den Opfern unterstreicht zwar unsere eigene moralische und politische Haltung, vermeidet aber die schwierigere Auseinandersetzung mit den Tätern und ihren Motiven.
Das Thema der Selektion des optimalen Erbgutes ist in unserer Gesellschaft hoch aktuell, egal ob es um Fragen des Einsatzes von Gentechnologie oder um das „perfekte Baby“ geht. Grundsätzlich findet dabei ein Wechsel der Perspektive statt, denn die NS-Eugenik bemüht sich im Blick zurück um „Schadensbegrenzung“ durch „Ausmerze“ Bei der Präimplantationsdiagnostik geht es unmittelbar um die Gestaltung von Zukunft. In dieser teilweise emotional geführten Debatte verläuft die Bruchlinie zwischen denjenigen, die die Optimierung durch die Selektion bis hinein ins Genom suchen, und denjenigen, die das für einen Irrweg halten. Der Blick ins europäische Ausland, nicht nur nach Übersee, wo man diese Thematik ganz unbefangen angeht, weist darauf hin, dass wir uns dabei mit dem Erbe des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen haben.
Eine entsprechende Entwicklung findet sich beim Umgang mit der Sterbehilfe. Unsere Verfassung lebt aus den Erfahrungen mit der NS-Diktatur und setzt dem Zeitgeist der nationalsozialistischen Barbarei die Verpflichtung auf die universellen Menschenrechte entgegen. Urteile des BGH, wie im April 2019, als ein Kläger abgewiesen wurde, der als Vertreter für seinen künstlich am Leben erhaltenen Vater Schadensersatz gefordert hatte, stellen unmissverständlich fest, dass kein Leben, auch kein schwerstbehindertes, einen Schaden darstellt. Davon unberührt ist das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, für sich lebensverlängernde Behandlungen ablehnen zu können. Das Recht, sich selbst das Leben zu nehmen, hat der BGH noch dahin erweitert, dass Ärzte sich nicht strafbar machen, falls sie bei einem Suizid, dem ein „Freiverantwortlicher Selbsttötungswille“ zugrunde liegt, keine Behandlung durchführen. Es ging in zwei ähnlich gelagerten Fällen um schwerstkranke Patienten, die von ihren Ärzten bis zum Tod begleitet wurden. Das Urteil des BGH vom 26. Februar 2020, das den § 217 des StGB und damit das generelle Verbot der ärztlichen Sterbehilfe für nichtig erklärt, geht noch einen Schritt weiter. Bei offiziellen Ärztevertretern stieß die Entscheidung durchweg auf Skepsis. Zeitgleich sind es Psychiater und Palliativmediziner, die bei psychisch Schwerstkranken über eine medizinische Sterbebegleitung nachdenken, die nicht den Aspekt der (gescheiterten) kurativen Behandlung in den Vordergrund stellt, sondern die Lebensqualität und die Wünsche des Patienten. Der Diskurs bei den Medizinern über die Themen Sterbehilfe, Selbstbestimmung am Lebensende und Umgang mit dem Willen des Patienten ist in vollem Gange.
Auch dies ist im Zusammenhang mit der Rolle zu sehen, die Mediziner bei der Umsetzung der NS-Rassengesetze spielten. Nach Christoph Braß übernahmen die Amtsärzte, die ärztlichen Mitglieder der Erbgesundheitsgerichte (EGG) sowie die Chirurgen und die Ärzte in den Tötungsanstalten die Funktionen „des Ermittlers, des Anklägers, des Zeugen, des Richters und des Vollstreckers (…).“Nur wenige fanden den Mut, Widerstand zu leisten, obwohl das nach dem Krieg etliche für sich reklamierten oder auf den Druck verwiesen, der auf den einzelnen ausgeübt worden sei. Nach jahrzehntelangem Schweigen bemüht sich die Bundesärztekammer – hatte doch nach dem Krieg noch die überwiegende Mehrheit der deutschen Ärzte die „Notwendigkeit eugenischer Zwangseingriffe“ befürwortet – in den letzten Jahren um eine Aufarbeitung der zentralen Rolle der Ärzte. Dazu zählen auch öffentlichkeitswirksame Maßnahmen wie die Wanderausstellung „Erfasst, verfolgt, vernichtet. Kranke und behinderte Menschen im Nationalsozialismus“, die 2018 auch im Bundestag gezeigt wurde. Sie dokumentiert die Beteiligung von Ärzten an der systematischen Ermordung von Kranken und Behinderten.
Neben den Ärzten fiel den Juristen eine entscheidende Funktion zu. Nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler setzte die NSDAP rasch und konsequent ihre diesbezüglichen Vorstellungen um. Als Folge ebneten eine ganze Reihe von Gesetzen und Ausführungsbestimmungen den Weg für die „Aufnordung“ des deutschen Volkes. Dies war ein Dammbruch, der die Zwangssterilisationen, die Zwangsabtreibungen und letztlich auch die Euthanasieverbrechen möglich machte. Dabei legten die Behörden größten Wert darauf, dass die Zwangssterilisationen, gegen die in der Bevölkerung ohnehin starke Ressentiments bestanden, nicht als Strafmaßnahmen verstanden wurden, um den Widerstand nicht weiter zu steigern. Dadurch, dass der Betroffene als „Erbkrankverdächtiger“ angezeigt und anschließend von einem Gericht verurteilt wurde, war diese Sicht nur naheliegend. Während die Sterilisationen weitgehend im Licht der Öffentlichkeit stattfanden, wurden die Krankenmorde im Verborgenen durchgeführt. Die Opfer sowie ihre Angehörigen wurden über die Planung und die Durchführung der Verbrechen getäuscht. Dazu baute man ein Tarnsystem auf, das vom Namen der „Aktion T4“ über die Tötungsanstalten bis zur Benachrichtigung der Angehörigen und der Verschleierung der tatsächlichen Todesursache der Ermordeten reichte. Für die regionale Betrachtung spielt der Blick auf das Aachener EGG eine wichtige Rolle mit der Tätigkeit der beiden vorsitzenden Richter Erwin Müller (Müller-Croon) und ab Ende 1939 Josef Hillenkamp.
Eine Besonderheit im Kreis Monschau stellt das Interesse der „nationalsozialistischen Forschung“ an der Bevölkerung dar. Dabei verfolgte die Partei verschiedene Ziele. Neben dem Bemühen, junge Menschen im Sinne des Nationalsozialismus zu prägen, versuchte sie ihren politischen Einfluss auf die Universitäten auszudehnen und zusätzlich die Kontrolle über die Landesplanung zu gewinnen. Die NS-Eugenik erschöpfte sich nicht in der Förderung „rassisch wertvoller Familien“, der Ausmerze der Minderwertigen oder der Erhaltung von arischem Nachwuchs für die Volksgemeinschaft durch den „Lebensborn“, sondern sie rückte die Siedlungspolitik ins Zentrum. Die Eroberung von Siedlungsraum und ein Krieg waren damit die vorgezeichneten Konsequenzen. Die Haltung der christlichen Kirchen zur Eugenik hat deshalb ein besonderes Gewicht, weil sie vielen Menschen, die in der „Neuen Zeit“ nach Orientierung und Halt suchten, eine Leitlinie war. Die Vorstellung, dass beide Kirchen mit einer Stimme gesprochen hätten, erweist sich ebenso als falsch wie die, dass es innerhalb der Kirchen eine einheitliche Haltung gegeben hätte. Dies wäre bei der katholischen mit ihrer zentralen Struktur noch am ehesten zu erwarten gewesen. Doch auch hier zeigen sich weit auseinanderliegende Positionen im Umgang mit der NS-Eugenik. Einig waren sich beide Kirchen (fast) nur in der Ablehnung der Euthanasieverbrechen.
Die Haltung der politischen Parteien spielte nach der Errichtung der NS-Diktatur und der Gleichschaltung keine Rolle mehr. In der Weimarer Republik hatte es sowohl in der Zentrumspartei, die sich an den Glaubenssätzen der katholischen Kirche orientierte, als auch in der Sozialdemokratie seit Ende des 19. Jahrhunderts eine Debatte zum Thema „Rassenhygiene“ gegeben. Regional interessieren besonders die Strukturen, mit denen die Rassenpolitik durchgesetzt wurde sowie die Einzelschicksale der Opfer. Im Kreis wie im ganzen Reich gab es ein System, in dem der Amtsarzt eine zentrale Rolle spielte. Er war verantwortlich für die Einleitung und die Überwachung der Zwangssterilisationen. Dabei war er vernetzt mit dem zuständigen EGG, den sterilisierenden Ärzten, den Abrechnungsstellen für die Übernahme der Kosten bis hin zu den Polizeibehörden, die gegebenenfalls die Opfer zwangsweise in die Krankenhäuser schafften. An den Einzelschicksalen wird deutlich, wie durchorganisiert das System funktionierte und wie hilf- und rechtlos der Betroffene ihm ausgeliefert war. Die exakte Erfassung der Opfer und damit eine zuverlässige Abschätzung der Zahlen scheitern an der mangelhaften Überlieferung. Die Situation bei denjenigen, die den Euthanasiemorden zum Opfer fielen, ist dadurch bestimmt, dass man bemüht war, alle Spuren zu verwischen.
Schließlich ist aufschlussreich, wie man mit den Opfern und den Tätern nach dem Krieg umging. Die Kontinuität der Karrieren der Richter und Ärzte, die an den EGG, als Amtsärzte, als Operateure oder als Mörder an den Verbrechen beteiligt waren, ist bedrückend. Für die Opfer lässt sich anhand der Unterlagen des Landratsamtes Monschau zeigen, wie groß das Unverständnis der Nachkriegsgesellschaft für das NS-Unrecht war. Henning Tümmers Publikation mit dem bezeichnenden Titel „Anerkennungskämpfe“ beschäftigt sich mit dem jahrzehntelangen Ringen um eine Würdigung der Sterilisationen als rassistisches Unrecht, das erst 2007 (!) mit der Ächtung des GzVeN durch den Bundestag endete.
Am Ende bleibt damit auch in der Region die Frage nach der individuellen Schuld. Die meisten Täter sind inzwischen verstorben oder ihre Taten sind verjährt. Eine juristische Aufarbeitung der Verbrechen im Kreis Monschau, die den Namen verdient hätte, fand nicht statt oder nur bedingt im Rahmen von Prozessen, die gegen Täter in überörtlichen Mordanstalten geführt wurden. Für die Opfer der Zwangssterilisationen, von denen kaum noch jemand leben dürfte, und deren Angehörige, direkte Nachfahren kann es (eigentlich) nicht geben, ist diese Situation eine schwerwiegende Hypothek. Für diejenigen, die im Kreis die NS-Zeit nicht als Opfer überlebten, sondern „irgendwie dabei waren“, stellt sich die Frage ihrer Beteiligung. Während die Gerichte es versäumten, über die persönliche Schuld zu urteilen, hat die Beurteilung der Verstrickung des Einzelnen in der Nachkriegszeit heftige Debatten befeuert. Die Extreme der unterschiedlichen Auffassungen liegen dabei weit auseinander. Ralph Giordano geht vielleicht am weitesten, da er jede „Beteiligung an einem diktatorischen Regime“, worunter er allein das Leben in einem solchen Staat versteht und damit verbunden zum Beispiel das Zahlen von Steuern, als persönliche Unterstützung ansieht. Demgegenüber vertritt der Historiker Manfred Kittel den Standpunkt, dass niemand verpflichtet werden kann, die Heimat zu verlassen oder aktiv Widerstand zu leisten. Die Alliierten hatten eine Kategorisierung entworfen, nach der sie die Beteiligten und Verstrickten im NS-System erfassen wollten. „Die Besatzungsmächte waren sich einig darüber, dass die NSDAP – entsprechend den Beschlüssen der Konferenz von Jalta (4.-11. Februar 1945) – vollständig beseitigt und ihr Führungskorps sanktioniert werden sollte. Die vom US-State-Department ausgegebene Direktive JCS 1067 vom 26. April 1945 enthielt konkrete Vorgaben hinsichtlich der Durchführung der Entnazifizierung.“ Demnach wurden fünf Kategorien festgelegt, in die die erwachsenen Deutschen eingruppiert wurden, Hauptschuldige (I), Belastete (II), Minderbelastete (III), Mitläufer (IV) und Entlastete (V). In der Praxis erwies sich die Umsetzung als schwierig oder als gar nicht durchführbar. Die zu sanktionierenden Belasteten waren als Fachleute oft nicht ersetzbar. Darüber hinaus verhinderten gut funktionierende Netzwerke ihre Verfolgung. Die Beteiligten stellten sich gegenseitig sogenannte „Persilscheine“ als Entlastungszeugnisse aus, so dass die Spruchkammern überfordert waren. In Nordrhein-Westfalen beendete die Verordnung zum Abschluss der Entnazifizierung vom 24. August 1949 schließlich die Verfahren. Alle bis dahin in Gruppe IV Eingereihten wurden ohne weitere Überprüfung als „Unbelastete“ anerkannt. Auch die bis dahin über diese verhängten Beschränkungen wie eine Vermögenssperre entfielen. Damit endete auch im Kreis jede weitere Nachforschung. Der Aachener Regierungsassessor Maiwald nahm in einem anderen Zusammenhang die Rechtfertigungsversuche derer aufs Korn, die sich wegen ihrer Verstrickungen zu erklären hatten. So schrieb er 1953 an den RP, dass gerade jene, die nur „zur Tarnung“ oder aus „Schutz vor Verfolgung“ in die NSDAP eingetreten seien, vor nichts zurückschreckten. „Verglichen damit seien die sogenannten ‚Braunschweiger‘, die vor den Ausschüssen ihre Parteimitgliedschaft zu verheimlichen suchten, noch ‚verhältnismäßig harmlos.‘ “
Es fehlt nicht an Versuchen, bei den Tätern nach gemeinsamen Merkmalen oder einem Muster zu suchen, um anhand ihrer Persönlichkeitsstruktur Übereinstimmungen zu erkennen. Dahinter steht der Versuch, durch Erarbeitung von „gruppenbiografischen“ Überschneidungen wenigstens Rahmenbedingungen herauszufiltern, um einen Ansatz zu finden, der solche Verbrechen in Zukunft verhindern hilft. Allgemein gewinnt die Sichtweise an Zustimmung, dass die Täter „durchschnittlich und repräsentativ“ und damit ein Abbild der Gesellschaft waren. Dies gilt auch für die Ärzte – selbst in den Konzentrationslagern. Da der Rassismus alle Lebensbereiche infiltriert hatte, wundert es auch nicht, dass in der Nachkriegsgesellschaft, in der die NS-Volksgemeinschaft fortlebte, eine moralische Neubewertung der Verbrechen praktisch ausblieb.
Inhaltsverzeichnis
1 |
Abkürzungen und Hinweise |
10 |
2 |
Einleitung |
13 |
3 |
Quellen und Quellenkritik |
22 |
4 |
Positionen zur Eugenik in Deutschland vor 1933 |
24 |
4.1 |
Strömungen in der Sozialdemokratie |
24 |
4.2 |
Stellung der katholischen Kirche und der Zentrumspartei |
25 |
4.3 |
Haltungen in der Evangelischen Kirche |
28 |
4.4 |
Grundüberzeugungen der NS-Eugenik |
33 |
5 |
NS-Politik nach 1933 |
42 |
5.1 |
Politische Umsetzung der NS-Eugenik/Gesetzgebung/Verordnungen |
42 |
5.2 |
Gegenentwurf zur Ausmerze: Lebensborn und positive Eugenik |
55 |
6 |
Der Kreis Monschau im Fokus der “NS-Forschung“ an den rheinischen Hochschulen, lokale Einflussnahmen und die Positionen des Landratsamtes |
64 |
6.1 |
NSDAP-Akademie für Landeskunde und Reichsforschung |
70 |
6.2 |
Heinrich Rübel: Der drohende Rassentod der Monschauer |
72 |
6.3 |
Anita Kley: „Kalterherberg, das Dorf der Tuberkulösen |
86 |
6.4 |
Inzucht, Armut, Isolation und Rückständigkeit: Kalterherberg und Eicherscheid |
91 |
6.4.1 |
Kalterherberg, „das sterbende Dorf" |
91 |
6.4.2 |
Eicherscheid, „ein Brennpunkt der Inzucht |
94 |
6.5 |
Ludwig Mathar: Propaganda für die Rassenhygiene |
95 |
6.6 |
Elisabeth Hermanns: Aus dem Inneren des Monschauer Gesundheitsamtes. Ein Praktikumsbericht |
99 |
7 |
Durchführung der Zwangssterilisationen im Kreisgebiet |
109 |
8 |
Versuch einer Übersicht über die Zwangssterilisationen und Euthanasieverbrechen im Kreis Monschau |
125 |
8.1 |
Häufigkeit und räumliche Verteilung der Zwangssterilisationen im Kreisgebiet |
125 |
8.2 |
Krankenmorde im Kreisgebiet |
130 |
8.3 |
Kalterherberg – das besondere Dorf |
134 |
8.4 |
Grenzland, Notstandsgebiet und „Hort der Inzucht |
138 |
9 |
Zwangssterilisationen. Einzelschicksale |
139 |
9.1 |
Antrag ohne klare Diagnose bei Luzie Albrecht |
139 |
9.2 |
Eine Frau ohne familiäre Unterstützung |
139 |
9.3 |
Hilfe vom Familiennetzwerk |
143 |
9.4 |
Abtauchen im Schutz von Wehrmacht oder RAD |
145 |
9.5 |
Vertagung des Verfahrens bis nach dem Endsieg |
146 |
9.6 |
Vor der Sterilisation bewahrt, an der Front gefallen |
147 |
9.7 |
Entkommen im Schutz der Reichsbahn |
147 |
9.8 |
Abgelehnte Sterilisation |
148 |
9.9 |
Nicht sterilisiert wegen schwerer körperlicher Behinderung |
149 |
9.10 |
Entweder Einwilligung in die Sterilisation oder dauernde Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt |
150 |
9.11 |
Unterstützung durch ein Netzwerk von Hausarzt, RAD-Führer und Rechtsbeistand |
151 |
9.12 |
Risiko: Aufgebotsbestellung |
153 |
9.13 |
Körperliche Erkrankungen und Behinderungen als Sterilisationsgründe |
153 |
9.14 |
Ausmerze der „Rheinlandbastarde" |
156 |
10 |
Euthanasieverbrechen im Kreis Monschau |
164 |
10.1 |
Einzelschicksale |
175 |
10.1.1 |
Tod in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Düren vor dem Beginn der Aktion T4 |
175 |
10.1.2 |
Erst zwangssterilisiert, dann ermordet |
180 |
10.1.3 |
Hauptsache sterilisiert |
181 |
10.1.4 |
Spuren verwischen |
181 |
10.1.5 |
Überleben in der Zwischenanstalt |
182 |
10.1.6 |
Zwei Schwestern aus „erbkranker Sippe“. Eine wurde zwangssterilisiert, die andere ermordet |
183 |
10.1.7 |
Körperlich und seelisch erkrankt |
184 |
10.1.8 |
Der Krieg ist vorbei. Das Sterben geht weiter |
186 |
10.1.9 |
Bis zur Vortäuschung eines religiösen Beistandes |
188 |
10.1.10 |
Gesellschaftliche Randgruppe/Fürsorgeerziehung |
189 |
11 |
Monschauer Kreisärzte, Gehilfen und Täter |
195 |
11.1 |
Zeitliche und personelle Übersicht der Kreisärzte |
199 |
11.2 |
Organisation und Durchführung |
199 |
11.2.1 |
Tatort: Psychiatrische Anstalt |
199 |
11.2.1.1 |
Aachener Alexianer-Krankenhaus |
200 |
11.2.1.2 |
Städtische Heil- und Pflegeanstalt Mariabrunn in Aachen |
200 |
11.2.1.3 |
Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Düren |
201 |
11.2.1.4 |
HPA Marienborn in Zülpich-Hoven |
202 |
11.2.1.5 |
Zwischen- und Tötungsanstalten |
205 |
11.2.1.5.1 |
Übersicht der Tötungsanstalten |
207 |
11.2.1.5.2 |
Hadamar |
208 |
11.2.1.5.3 |
Johannistal „Kinderfachabteilung Waldniel" |
212 |
11.2.1.5.4 |
PHP Galkhausen/Langenfeld |
213 |
11.2.1.5.5 |
Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Andernach |
213 |
11.2.1.5.6 |
PHP Meseritz |
213 |
11.2.2 |
Tatort: Sterilisationsanstalt |
214 |
11.2.3 |
Zur Sterilisation „ermächtigte Ärzte" |
218 |
11.2.3.1 |
Übersicht der beteiligten Ärzte |
220 |
11.2.4 |
Das Aachener Erbgesundheitsgericht |
222 |
12 |
Biografische Anmerkungen und Ergänzungen |
226 |
12.1 |
Monschauer Amtsärzte |
226 |
12.1.1 |
August Schmandt. Aufstieg vom Kreisarzt zum kommissarischen Abteilungsleiter im Reichsgesundheitsamt |
226 |
12.1.2 |
Josef Jacob Maria Vogt. Aus Monschau über Schleiden in die Beteiligung an der Durchführung der dezentralen „Euthanasie" |
228 |
12.1.3 |
Karl Hübinger. Als ehemaliger NS-Kreisarzt nach 1949 wieder im Amt |
232 |
12.1.4 |
Hanns Barklage-Hilgefort. „Das Verfahren wird nicht eingestellt“ |
241 |
12.1.5 |
Edmund Franz Wilhelm Buschmann als kommissarischer Amtsarzt |
243 |
12.1.6 |
Theodor Jouck. Neuanfang nach Kriegsende |
245 |
12.2 |
Zur Sterilisation „ermächtigt" |
247 |
12.2.1 |
Josef Heinrich Bohnekamp |
247 |
12.2.2 |
Franz Hubert Fesenmeyer |
249 |
12.2.3 |
Leo Funken |
251 |
12.2.4 |
Rudolf Kraft |
257 |
12.2.5 |
Albert von Meer |
261 |
12.2.6 |
Alfred Schoop |
262 |
12.3 |
Mitglieder des Aachener EGG |
266 |
12.3.1 |
Josef Hillenkamp, Vorsitzender Richter |
266 |
12.3.2 |
Franz Hurck, Amtsarzt in Aachen |
268 |
12.3.3 |
Philipp Wilhelm Koester, Leitender Arzt des Alexianer-Krankenhauses |
269 |
12.3.4 |
Erwin Müller-Croon, Vorsitzender Richter am Erbgesundheitsgericht |
276 |
12.3.5 |
Heinrich Schäfgen, leitender Arzt der PHP Düren |
282 |
12.4 |
NS-Funktionsträger |
285 |
12.4.1 |
Christian Harzheim |
285 |
12.4.2 |
Heinrich Schmiddem |
286 |
12.4.3 |
Rudolf Valk |
287 |
12.5 |
Heinrich Stillger, Oberarzt an der PHP Düren |
292 |
12.6 |
Beteiligte des „Wissenschaftseinsatzes und der Feldforschungen“ in der Eifel |
295 |
12.6.1 |
Otto Gercke |
295 |
12.6.2 |
Georg Holland |
296 |
12.6.3 |
Walter Gustav Janocha |
297 |
12.6.4 |
Heinrich Rübel |
298 |
13 |
Kampf der Opfer um Anerkennung |
302 |
13.1 |
Einzelschicksale |
307 |
13.1.1 |
„Im Ausland wurde ebenfalls aus eugenischen Gründen sterilisiert" |
307 |
13.1.2 |
Politische Verfolgung der Familie |
308 |
13.1.3 |
Verzweifelte Ablehnungsbemühungen der Behörden |
312 |
13.1.4 |
Lagerhaft und Zwangssterilisation |
312 |
13.1.5 |
Ganze Familien im Fokus der Rassehygieniker |
313 |
13.1.6 |
„Sterilisation kein Nazi-Unrecht" |
314 |
13.1.7 |
Ausnutzung von Fehleinschätzungen |
315 |
13.1.8 |
„Ich bin ein politisch Geschädigter" |
315 |
14 |
Gedenkkultur |
317 |
15 |
Zusammenfassung und Ausblick |
320 |
16 |
Anhang |
323 |
16.1 |
Praktikumsbericht von Elisabeth Hermanns aus dem Monschauer Gesundheitsamt |
323 |
16.2 |
Belgischer Presseartikel aus dem Jahr 1946 über die Zwangssterilisationen und die Vernichtung der „Crétins“ in Kalterherberg |
346 |
16.3 |
Krankenblatt Ewald Konrad |
351 |
16.4 |
Intelligenzprüfungsbögen Christine Werner |
353 |
17 |
Dank |
361 |
18 |
Ungedruckte Quellen |
362 |
19 |
Literaturverzeichnis |
367 |
20 |
Abbildungsverzeichnis |
382 |
21 |
Ortsverzeichnis |
386 |
22 |
Personenverzeichnis |
389 |
395 Seiten
zahlr. Abb., 17 x 24 cm, geb.
Hahne & Schloemer Verlag, Düren 2021
ISBN 978-3-942513-60-9
Preis: 20,00 €
ACHTUNG: Bei Lieferung ins Ausland entstehen Versandkosten, ins EU-Ausland bis zu 7,00 €; übriges Ausland auf Anfrage.